Von Mandeln und Seepferdchen

Von Mandeln und Seepferdchen –

Neurophysiologie des Traumas: die Amygdala und der Hippocampus

Zähle die Mandeln“,

schreibt Paul Celan in einem seiner Gedichte.

Zähle die Mandeln

Zähle was bitter war und Dich wach hielt

Diese Wortspur legt Paul Celan in meinen Raum mit fünf Betten. Er ist zu klein für diese Zahl. Die Betten beschweren den Raum mit einer erdrückenden Enge, mein Schienbein stößt an eine Metallkante wenn ich mich bewege, von hier bis zur Tür. Ich muss nachts zur Toilette, der Schmerz macht mich wach, am nächsten Tag habe ich einen ovalen blauen Fleck.

Zählen. Nicht kauen. Nicht aussortieren. Zählen.

Zählen heißt, dem, was bitter war, eine Grenze zu geben, die Grenze der Zahl. Drei, fünf, sieben oder auch siebenundfünfzig Dinge als Bestandteile einer Welt zu benennen, die durch die Endlichkeit dieser Zahl auch anderes enthalten kann. Betten, Bittermandeln und auch anderes. Anderes, nicht Bitteres. Anderes, was vielleicht die Tür zu einem nicht bedrängenden Schlafraum öffnet.

„Schlaf jetzt. Die Mandeln sind gezählt.“

Dieser Raum hier hat fünf Betten, viel zu viel für seine Abmessungen. Fünf. Sie könnten sich aufwölben zu etwas Erdrückendem, zu etwas, das größer als sie selbst ist: zu einer erdrückenden Welt.

Sie könnten nicht nur diesen Raum eng machen, sondern auch den Raum in meinen Bronchien, der die Luft des Raumes mit meiner verbindet. Da flirrt Hausstaub, in den Kissen wohnen kleinste Tiere und winzige Reste vieler Menschen. In mir steigt der Druck ihrer Körper auf, der Druck, mit dem meine Bronchien auf die Milben in den Kissen reagieren, der Druck der Bettkörper, beengend. Ich wünschte die Luft könnte entweichen, meine Bronchien sind zu eng, bedrückend eng, das Abbild des erdrückenden Raumes.

Die fünf Betten sind unbequem, mit dünnen Schaumstoffmatratzen auf  Pressspanplatten, die auf meine Gewebe drücken. Das schmerzt. Sie könnten sich  hochwölben zu einer diffusen, meine Gewebe bedrängenden Welt, die mich angreift, wenn ich zur Ruhe kommen will.

Aber es sind nur fünf Betten für fünf Tage in einem Hostel, ein unbequemer, aber gegrenzter Zeitraum, eine endliche Zahl.

Ich habe das Gedicht von Paul Celan einige Zeit nach meiner ersten Begegnung mit einer Hirnstruktur gefunden, die sich Amygdala oder Mandelkern nennt.*  Damals mussten wir während meines Medizinstudiums in unserem Neuroanatomiekurs Gehirne sezieren und viel sehr Ungenaues über die Funktionen der einzelnen Areale lernen, wovon mittlerweile ein Großteil überholt ist.

Man wusste aber in dieser Zeit schon, dass diese mandelförmige Struktur eine wichtige Rolle bei unseren Ängsten spielt.  In der Traumaforschung der letzten Jahre hat sie eine der bedeutendsten Rollen gespielt. Die Erkenntnisse über sie haben, so glaube ich, vielen Menschen Erleichterung im Verständnis ihrer selbst gebracht. Erleichterung und vielleicht auch Selbst-Mitgefühl, so hoffe ich zumindest.

Die Amygdala ist eine Instanz in unserem neuronalen System, die uns sagt, wieviel Gefahr von Reizen ausgeht.*

Sie schützt uns. Schnell. Sie ist eine der Strukturen, die uns befähigen, sofort zu reagieren, ohne Umwege, in diesem Augenblick. Das „ohne Umwege“ ist wichtig. Während ihre Signale dafür sorgen, dass unsere Muskeln sich in Sekundenbruchteilen spannen, der Herzschlag schneller wird und unser Körper bereit ist, Gefahr zu begegnen, versiegen die Gespräche mit anderen Regionen. Um schnelle Reaktionen zu ermöglichen, werden die längeren Wege des Verstehens, Erkennens und späteren Erinnerns abgekürzt.

All das erscheint erst einmal unwichtig, wenn es gilt zu kämpfen, zu fliehen, oder im schlimmsten Fall auszuhalten, was in der Gefahr geschieht. Das ist sinnvoll, wenn der Auftrag ist, vor einer Schlange zurückzuzucken, einem Schlag auszuweichen oder einen Sturz abzufangen. Aber es wirft manchmal den Schatten, dass überstarke Empfindungen in unseren Mandelkernen und den tiefen Regionen unseres körpernahen Erinnerns nicht abfließen, nicht verbunden werden und wieder und wieder erscheinen, sobald irgendetwas sie weckt.

Eine der Regionen, mit der das neuronale Geflüster ins Stocken gerät, ist der Hippocampus. Er ist geformt wie ein Seepferdchen – eine visuelle Verwandtschaft, die ihm seinen Namen gegeben hat. Dieses Seepferdchen ist der Teil in unserem Gehirn, der eine entscheidende Rolle bei der Bildung des sogenannten „episodischen Gedächtnisses“ spielt – der Fähigkeit, durch die wir ein Vorher, Nachher und Währenddessen unterscheiden können. Er hilft uns, aus der unendlichen Zahl von Weltpunkten, die uns in jedem Augenblick über unsere Sinneskanäle zugetragen werden, ein durch eine sinnhafte Erzählung verbundenes Gebilde zu formen. Er bahnt dieser Erzählung den Weg aus dem Kurzzeitgedächtnis in die komplexen Verarbeitungsregionen und Archive des Neokortex, wo die Orte des Langzeitgedächtnis ebenso zur Verfügung stehen wie Sprache, Logos, Reflektion und das Abtasten auf Fragen von Moral und Sinn. Ebenso wie der Hippocampus uns durch seine Bahnung und Vorkategorisierung  hilft, Erlebtes in der Zeit zu verorten, so spielt er auch eine entscheidende Rolle bei unserer räumlichen Orientierung.

Studien legen nahe, dass er auch an unserem mathematischen Potential beteiligt ist. Zählen und erzählen, Dinge als etwas an einem Platz erkennen, etwas mit einer Grenze, einer Abfolge, einer Menge, einer Dimension – dieses menschliche Vermögen steht in Verbindung mit dem Hippocampus.

Selbst, wenn die komplexeren Funktionen nicht in ihm selbst stattfinden, so fehlt uns ohne die strukturierenden Kräfte dieser Schaltzentrale etwas Entscheidendes, um aus den ständig flutenden Reizpartikeln eine strukturierte Welt zu formen.

In großer Angst und Not verändert sich die Art, wie Erlebtes gespeichert wird. In den Zonen, die für bewusste Erinnerung zuständig sind, kommen Informationen nur noch bruchstückhaft, fragmentiert, verzerrt oder auch gar nicht an. Ich stelle mir das vor wie ein Gespräch bei großem Getöse, Fetzen gebrüllter Worte, ein beißender Geruch, eine schnelle Bewegung am Rande des Gesichtsfeldes, dazwischen ein kurzer Eindruck von blauen Leberblümchen auf weißer Bettwäsche. Ein Wirbel. Keine Erzählung.

Herrscht dort, in dem Gespräch zwischen Mandelkern, Seepferdchen und den Zonen bewußten Erinnerns, eine solche Verzerrung, verlieren wir die Fähigkeit, dem Erlebten einen Platz in Raum und Zeit zu geben. So entgleitet uns manchmal das Gefühl für Verortung, Zahl und Endlichkeit, wenn unser Mandelkern besonders erregt ist. In diesem Erlebensmodus wird ein Ereignis keine Geschichte.  Stattdessen geistern in uns unscharfe Gestalten. Bedrohliche Geister, wie sie zum Beispiel aus den Betten in diesem Raum aufsteigen könnten.

Schemen, auf die der Mandelkern mit dem Ruf „Gefahr!“ reagiert. Untote, auf die unser Körper antwortet, bevor irgendetwas in uns erkennen kann „Ah, Du! Du dort, den ich aus dieser oder jener Situation kenne!“.

Denn die Amygdala sieht verwaschen, vielleicht so, wie man eine vorüber rauschende Landschaft sieht oder ein im Augenwinkel huschendes Tier. Ihr reicht, dass etwas eine entfernte Form hat, einen verwandten Duft, irgendetwas, das sagt: „Es könnte sein.“ Das diffuse „Es könnte sein“ genügt, um die Dinge als etwas Drohendes zu sehen, sie als Gefahr mit unserem Körper zu sehen, während vieles Andere sich verformt, fragmentiert, undeutlich wird.

Es sind dann nicht diese fünf zu eng gestellten Betten an diesem Ort, diesem Hostelzimmer, in einer Stadt auf dem 28ten Breitengrad, 741 km von der marokkanischen Küste entfernt, im Mai 2016 um 22 Uhr dreiundzwanzig. Es ist dann nicht dieser Ort, dieses Zimmer, das ich für fünf Tage gebucht habe und verlassen kann, wie es mir beliebt.

Sondern Gespenster. Ungezählt.

Zähle die Mandeln.

Zähle die Gespenster.

 Zähle, was Dich wach hielt.

Gibt ihm eine Zahl, eine Grenze, einen Ort.

Die Amygdala erkennt flatternde, huschende Schemen von irgendetwas, was wir zu irgendeiner Zeit an irgendeinem Ort als Gefahr oder Verwundung erlebt haben.

In der Fachsprache spricht man bei den Schemen, auf die unsere Amygdala reagiert, nicht von Gespenstern. Sie werden Triggerreaktionen genannt und die sie weckenden äußeren Reize Trigger.  „To trigger“ bedeutet im Englischen „anstoßen“ oder „auslösen“. Ein Trigger ist eine Art Weckruf, ein Mitternachtsschlag, der in unsere impliziten Gedächtnisse hineinruft „Aufwachen! Eine neue Geisterstunde bricht an!“

Diese impliziten Gedächtnissysteme sind verortet in älteren Hirnregionen und unserem Körper – räumlich unterhalb des stammesgeschichtlich jüngerem Neocortex, weswegen sie auch als subcortical bezeichnet werden. Sie speichern automatisierte Handlungen: das Gehen, die Schreibbewegungen auf dem Papier und all das, worauf wir reagieren, ohne dass es uns explizit, klar, ausdrücklich bewusst ist. Dort sind auch die Schlafstätten unserer Geister. Anders als in unserem expliziten Gedächtnis werden dort Erinnerungen in groben Kategorien abgespeichert. Wurden irgendwann einmal zu eng gestellte Betten als Bestandteil einer Bedrohung registriert, so werden bei allen Betten mit wenig Abstand, denen wir jemals begegnen, Signale für dieselben Reaktionen ausgesendet, die es in diesem Zustand damals gab. Wir erinnern uns dann nicht, sondern unser Körper erlebt den Schrecken wieder, vollständig, als geschähe es in diesem Augenblick.

Es scheint so zu sein, dass diese Reaktionen umso stärker ausfallen, je weniger die einzelnen Erinnerungsfragmente wie die Leberblümchen auf weißem Grund oder der Abstand der Betten in unserem expliziten Gedächtnis zu einer sinnhaften Geschichte verwebt worden sind.

Gespenster müssen, so scheint es, zu einer Geschichte werden, damit sie Geschichte werden können. Sie müssen einen Platz in der Vergangenheit finden, kein Jetzt, sondern etwas, das war.

Die fünf zu eng gestellten Betten in ihrer Kombination aus Unbequemlichkeit und Harmlosigkeit, können dabei ganz verschiedene Auslöser für die Mandelkerne und impliziten Gedächtnissysteme unterschiedlicher Menschen beherbergen. Es kann Enge sein oder der etwas verstellte Fluchtweg. Es kann das leichte Flirren von altem Staub sein, die Luftnot durch eine Allergie, eine in einer bestimmten Weise geblümte Bettwäsche oder Partikel von vergangenem Schweiß. Es kann der erdachte oder reale Abstand von anderen Körpern sein.  Oder auch das Schema „Bett“ selber, der Ruheort, der sich durch seine Vergangenheit zu einem Ort der Gefahr verzerrt hat.

Die Angst kommt dabei aus dem Diffusen, aus dem möglichen verborgenen Schrecken. Sie kommt nicht aus der Kenntnis eines konkreten erschreckenden Gegenübers, sondern aus dem Erkennen einer vagen Bedrohungsmöglichkeit, ungreifbar, durchscheinend, geisternd am Rande des Wahrnehmbaren.

Anders als unser explizites Gedächtnis bleibt der Inhalt der impliziten Gedächtnissysteme  für unser reflexives Bewußtsein unscharf, neblig, mehrdeutig und ist meist für uns nur indirekt zu erschließen. Der vage Charakter der Botschaften aus den emotionalen und körpernahen Speichersystemen macht uns die Annäherung schwer. Bei allem verzweifelten Bemühen, sie in den Griff zu kriegen, packen wir oft ins Leere. Wir greifen durch sie hindurch in einen Raum, wo nichts konkret Fassbares zu sein scheint und nur ein Gefühl kalter Angst bleibt.

Gespenster kommen in der Mythologie vieler Kulturen vor. Sie werden häufig beschrieben als etwas, das keinen Platz in der Vergangenheit gefunden hat, keinen Ort, wo es zur Ruhe kommen kann. Ein schreckliches Erlebnis, eine übergroße Schuld, eine nicht überbrachte Botschaft hält sie in den Erzählungen gefangen in einem Zwischenreich, wo sie wieder und wieder geistern müssen, bis irgendetwas sie erlöst. Die in uns flatternden Schemen gleichen diesen Untoten. Ähnlich wie die Gespenster der Mythen nicht im Reich der Toten ihre Ruhe finden, so verschließen die verzerrten Kanäle zum Hippocampus und Speichersystemen des Neocortex die Möglichkeit, dass im höchsten Maße überfordernde Ereignisse Geschichte werde. Sie bleiben gefangen im Reich zwischen Körper und Bewusstsein, dort, wo die Angst wohnt, die keine Worte und keine Erzählung hat. Die Geister, die von fünf Betten oder irgendetwas Anderem gerufen werden, sind keine Erinnerungen, auf die wir zurückblicken. Sie erscheinen uns wieder und wieder als ein heulendes, schauriges, uns bis ins Mark erstarren lassendes Jetzt.

Zähle die Gespenster.

Zähle, was Dich wach hält.

Gib ihnen eine Geschichte, eine Zeit, einen Ort.

Vor einigen Tagen erzählte mir meine Nachbarin, dass ihre Schwester sich vor Schmetterlingen fürchtet. Ein Mensch, der ihr einmal Gewalt angetan hatte, trug einen tätowierten Schmetterling auf der Brust.

Ein mit Tinte in die Haut gezeichneter Schmetterling.

Damals. Währenddessen.

Aber das „Währenddessen“ ist anscheinend nicht zu einer Geschichte mit einem Vorher und Nachher geworden, mit einem Tatort, der sich von Nicht-Tatorten unterscheidet.

Von der Geschichte dieser  Schwester  habe ich nur wenig erfahren. Aber vielleicht war das „Währenddessen“ so überwältigend, dass die Angst, die Not, die Kampfbereitschaft es ihrem Hippocampus unmöglich machten, das Geschehen in Raum und Zeit zu verorten. Stattdessen ist der Schmetterling zu ihrem Gespenst geworden, dessen Form die Mandel in ihrem Inneren immer wieder zum Flattern bringt.

Ich weiß nicht, ob sie es bitter fand, diese Verwandlung von etwas Leichtem und Schönen in das grauenvolle Gespenst, das ihre Amygdala jetzt in Schmetterlingen erkennt.

Ich habe auch nicht die geringste Idee, ob Celan diese Mandelkerne kannte. Ich vermute, eher nicht. Eher könnte ich mir vorstellen, dass er das Fehlen einer Zahl, einer Grenze von Schrecken kannte.

Keine fünf Betten, sondern eine unendliche Zahl von Mandeln, die ohne Ruhemöglichkeit jeden Schlaf bedrängten. Allgegenwärtige bitterste Mandeln ohne Zahl, Zeit und Ort, die ihn wach hielten, immer.

Paul Celan wurde 1920 als Sohn deutschsprachiger Juden in Rumänien geboren. Später lebte er in Frankreich, wo er aber weiterhin auf Deutsch schrieb. Eine vielfache Fremdheit in der Sprache, so stelle ich mir das vor. Seine Eltern wurden von den Nationalsozialisten in ein Zwangsarbeiterlager deportiert, wo sein Vater kurz darauf an Thyphus starb, seine Mutter von einem SS Mann erschossen wurde. Er selber meldete sich freiwillig zur Zwangsarbeit im Straßenbau um der Deportation zu entkommen. Dort arbeite er vermutlich unter Bedingungen, die außerhalb der Vorstellungswelt der meisten von uns sind, immer begleitet von der Angst, dass „Nicht mehr können“ den sicheren Tod bedeuten würde.

Jeder von ihnen hätte sich vermutlich in diesen Zeiten oft  über einen Raum mit fünf Betten gefreut.

Und später, so scheint es mir, war Celan einer von denen, der durch seine Untoten in keinem Bett mehr Ruhe fand.

Während meiner Recherchen über die neuronalen Bewegungen zwischen Hippocampus und Amygdala bin ich auf zwei Kreisläufe gestoßen, die eng mit dem Wachsen und Überdauern, aber auch möglichem Schrumpfen unserer Untoten verbunden sind.

Der Neurowissenschaftler Manfred Spitzer beschreibt dabei in einem Vortrag über Kindheitstraumata etwas, wofür oft der Begriff „Teufelskreislauf“ benutzt wird.

Dabei berichtet er, dass die ordnenden Impulse des Hippocampus normalerweise eine beruhigende Wirkung auf unsere Mandelkerne ausüben. Ich stelle mir das wie ein behutsames Sortieren vor, ein Ablegen an Orten in Raum und Zeit, Du da und Du dort. Kein Wirbel, sondern eine Abfolge, eine Geschichte. Das beruhigt. Wobei die Beruhigung durch unsere Seepferdchen wohl keine direkte ist, so sympathisch der Gedanke auch ist, dass sich ein kleines Unterwasserwesen an irgendetwas in uns beruhigend anschmiegt. Ich stelle mir eher vor, dass es beruhigend ist, wenn sich die ungezählten Weltschnipsel, die in jedem Moment auf uns einstürmen, zu einem sinnhaften Geflecht werden können. Auch wenn das nicht alleine durch den Hippocampus geschieht, so ist dieser Prozess doch ohne seine vorstrukturierenden Fähigkeiten unmöglich. Dann, wenn wir die ganze konkrete Geschichte kennen, können wir leichter den „Es war einmal und nicht jetzt“ Charakter der fünf Betten erkennen.

Wir erkennen dann leichter, dass es einmal eine bedrohliche Situation gab, bei der die Bettwäsche Leberblümchen wie diese hatte, eine bedrängende, enge, aber dass diese Blümchen heute keine Ankündigung neuen Schreckens sind.

Die durch Übererregung der Amygdala ausgesandten Stressbotenstoffe, vor allem die Glucocorticoide wie das Stresshormon Cortisol, scheinen jedoch die Arbeit des Hippocampus in hohem Maße zu beeinträchtigen. Uneinigkeit besteht in der Forschung, ob es dabei zu einer Reduktion neuronalen Verbindungsstellen oder tatsächlichen Zelluntergang kommt. Aber die chemischen Stressrufe rauben unseren Seepferdchen die Ruhe, die sie zur Bildung unserer tagtäglichen Erzählungen brauchen. Als Folge haben diese zunehmend weniger Kraft, ihren Anteil an der Milderung von Aufregung zu übernehmen. Je mehr diese Milderung geschwächt ist, desto mehr Stressbotenstoffe wabern durch unser System, was die strukturierenden Kräfte des Seepferdchens weiter und weiter schwächt.

Ein Gespensterkreislauf, für den es noch nicht einmal nötig ist, dass das eine, das alles erschütternde Ereignis am Anfang steht. Auch das Aneinanderreihen von immer ein bisschen zuviel, immer ein bisschen verwundend, immer ein bisschen nicht mehr zu zählen, nährt unsere Geister. Manchmal so, dass auch wir uns irgendwann an keinem Ort mehr erholen können, ganz gleich, wie viele Betten er enthält.

Bei Kindern, die über sehr lange Zeit sehr massivem Stress ausgesetzt waren, kann man tatsächlich eine Verkleinerung der Hippocampusregion im MRT erkennen.

Der Gedanke, dass langanhaltende oder schwere seelische Verwundungen unsere Fähigkeit schwächen, neuen Verwundungen zu begegnen, hat etwas Bedrückendes. Verletzungen zeichnen uns. Sie zeichnen Spuren in unsere Physiologie, die  ganz ohne unser Zutun wachsen und an Wucht gewinnen können. Manchmal heilt die Zeit keine Wunden, sondern vergrößert den Riss.

Doch wir sind nicht nur Gezeichnete, sondern auch Zeichner. Wir besitzen – zumindest scheint es so – die Möglichkeit, zurückzuzeichnen, neu zu zeichnen, neue Zeichnungen in uns entstehen zu lassen.

Zähle die Mandeln

Das ist eine Aufforderung, die vielleicht von der Hoffnung getragen ist, dass es einen Unterschied macht, ob etwas gezählt, gegrenzt, verortet wird, auch wenn es schon bitter war und der Riss schon entstanden ist. Dass es zählt und nicht in der Sinnlosigkeit des Ausgeliefertseins untergeht.

Diese Hoffnung hat ein neurobiologisches Korrelat: Der Hippocampusteil  „Gyrus dentatus“ ist die Region in unserem Gehirn, in der Zeit unseres Lebens neue Neuronen gebildet werden, die den Hippocampus wieder wachsen lassen können.

Langzeitstudien mit Schwersttraumatisierten, die viele Jahre in Therapie waren, zeigen tatsächlich, dass deren Hippocampusregionen normale Größen aufweisen. Soviel hier noch an Detailforschung aussteht, so scheint es doch Möglichkeiten zu geben, einen Kreislauf zu nähren, in dem unsere Gespenster zur Ruhe kommen und unsere Seepferchen wieder an Kraft gewinnen, langsam, vorsichtig, Stück für Stück.

Mir gefällt die Vorstellung, dass ich irgendwo in der Mitte meines Kopfes eine Art Seepferdchenpflege betreibe. Ich stelle mir vor, dass ich Diffusem eine Form gebe mit einem behutsam suchenden Strich. Ich zeichne zurück. Nicht als Geste der Rache um andere zu zeichnen, wie ich gezeichnet worden bin, sondern um neue Bahnen in mir zu zeichnen, Seepferdchenwohnungen, gefüllt mit Geschichten wie wiegendes Wasser. Ich denke das gefällt kleinem Meeresgetier. Dort können die Partikel von Eindrücken zur Ruhe kommen an einem Ort in der Erinnerung, der zu Ihnen gehört. Und vielleicht auch einige Gespenster erlöst werden von dem Druck, wieder und wieder zu geistern, weil sie keinen Ort in der Vergangenheit finden.

Die Möglichkeit, dass wir uns teilweise selbst zeichnen können, beschrieb der Philosoph Karl Popper in seinem Gespräch mit dem Gehirnforscher John Eccles mit den Worten „Die Persönlichkeit formt sich bis zu einem gewissen Grad selbst aktiv.“

Das Maß dieser Möglichkeit zur Selbstzeichnung bleibt jedoch unklar, mit der Unschärfe, die lebendige Prozesse in offenen Systemen haben. Es ist diese Unschärfe, die uns verzagt macht, wo wir uns am meisten präzise Anweisungen wünschen: Wer mit dem Nachhall einer existenziellen Erschütterung lebt, sehnt sich oft nach einer Formel, durch die unsere Risse ihr malignes Echo verlieren.

Trotz dieser Unschärfe gehören die Neubildungsprozesse in unserem Seepferdchen zu dem, was vorsichtiger Hoffnung ein wenig Boden gibt.

Sie öffnen jedoch die Frage, wie in dem unscharfen Feld unserer zahllosen neuronalen Zeichnungen ein eigenes, aktives Entgegenzeichnen aussehen könnte.

Vor einigen Tagen sprach ich mit einer Freundin über dieses Buch. Ich berichtete Ihr von dem Gespensterkreislauf und den Fragen, die sich für mich stellen.

Sie erzählte mir, dass sie in ihrem Leben den sich immer schneller, immer höher drehenden Geisterreigen gekannt habe. Dieser fand seinen Höhepunkt in etwas, was man heute Burnout nennt. Das permanente Feuern der Stresshormone trieb dabei ihren Körper und Geist in grenzenlose Erschöpfung. Irgendwann in der Zeit der Regeneration, erzählte sie, habe sie ihre Fratzen, ihre Geister, auf Stoff gemalt und aus ihnen Kissen genäht, sorgfältig. Sie ist sehr genau, sehr präzise an der Nähmaschine, sauber, die Nähte sitzen.

Die Fratzen sind kräftig gezeichnet, mit entschlossenen Strichen. Ich erinnere mich gut an ihre Anordnung im Wohnraum, ein offener Raum mit Blick auf eine sich öffnende Landschaft, wo die Kissen auf einem Sofa lagen.

Es ist etwas Wunderbares, dass unser Geist so etwas hervorbringen kann, wie aus unseren Gespenstern Ruhekissen aus Stoff und Materie zu machen. Kissen, die in einer realen Wohnung ihren Platz finden.

Gestern erzählte ich dieser Freundin, dass ich von ihr und ihren Gespensterkissen in diesem Text schreiben wollte, geschrieben habe, auf zerknautschtem Papier, halb Ausdruck, halb kaum entzifferbares Gewirr aus Handschrift und Verweisen, überzeichnete, neu geschriebene, umgeschriebene Ordnung. So etwas gefällt mir.

Sie lachte, als sie die Stelle mit den sitzenden Nähten hörte. Dann kann sie etwas, weiß etwas, hat etwas planvoll umgesetzt. Zum Schluß kam jedoch eine Anmerkung, die ich anfänglich für Schüchternheit hielt, ein verlegenes Abwinken bei einem Lob, na ja, so toll, war es doch gar nicht, ach geh.

Das hat sie aber nicht gesagt. Stattdessen sagte sie  „Das habe ich mir doch nicht ausgedacht.“ Sie sagte das zwar mit einer Stimme, als ob das die Geste der Fratzenkissen schmälern würde, aber ich glaube, der wichtige Kern ist etwas anderes: Sie hatte es sich nicht mit den Zonen ihres Geistes ausgedacht, die wir oft als Verstand bezeichnen und häufig  am ehesten „Ich“ nennen.

Vielmehr war sie einem Impuls aus den tieferen Regionen gefolgt, etwas Vorbewußtem, was noch näher mit den Such- und Sprechbewegungen unseres Körpers verbunden ist. Sie ist, so denke ich mir, dem gefolgt, was in ihrem inneren Raum der fünf Betten entstanden ist, in denen sie bei aller Erschöpfung keine Ruhe fand. Sie habe es „einfach so“ gemacht, sagte sie, ein bißchen verlegen, weil es „irgendwie in ihr war.“

Es war kein Ausdenken, wie man sich vielleicht irgendwelche symbolischen Handlungen  überlegt, sondern es gab da eine Art Selbsttätigkeit von irgendetwas in ihr. Vielleicht waren es Bewegungen aus ihrem impliziten Gedächtnis heraus, denen sie ihre Hände, ihren Zeichenstrich, ihr Nähwissen und ihre Nähmaschine geliehen hat.

Ehrlich gesagt schäme ich mich fast ein bißchen, dass ich in meinem ganzen Suchen und Fragen beinahe das Wichtigste an dieser Geschichte nicht gehört habe.  Ich glaube, das ist, was meine Freundin mir sagen wollte: Dass sie behutsam einem Impuls aus den Räumen ihrer selbsttätigen Bewegungen gefolgt ist, ganz nah an den Bewegungen, mit denen unser Körperbewußtsein seine eigenen Wunden zu regenerieren versucht. Sie hat sich nichts ausgedacht, sondern etwas aufgegriffen, was sie dadurch einnähen konnte in die Zonen, wo es sichtbar, behandelbar, veränderbar in der äußeren Wirklichkeit wird. Der Wirklichkeit ihrer Gedanken, Reflektionen, künstlerisch ordnenden Hände und der ihres Wohnzimmers. Dort legt sie hoffentlich manchmal auf den Fratzen ihre Füße hoch oder den Kopf ruhen, ganz wie es ihr gefällt.

Als Kind habe ich es geliebt, in seichtem Wasser mit schlammigem oder sandigen Grund zu sitzen, den ich Aufwirbeln und beim Niedersinken beobachten konnte. Es war dabei wichtig, ganz still zu sitzen, egal ob mich ein Fisch kitzelte oder sich Sand in den Falten meines Körpers bemerkbar machte. Der Sand und der Schlamm konnten das, dieses Niedersinken und Anordnen zu welligen Mustern. Sie konnten es von selber viel besser, als wenn ich selber den Versuch unternommen hätte, jedes einzelne Sandkorn und Schmutzpartikelchen an seinen Platz zu legen. Sie konnten es sogar, wenn ich größere Dinge verändert hatte – einen Stein ausgebuddelt, einen Ast entfernt. Nach dem Wirbeln und der Trübung der Sicht wurden selbst die dadurch entstandenen Löcher schnell wieder Teil einer weichen, beweglichen Struktur.

Was ich tun musste, ganz dringend und unbedingt tun musste, war dafür zu sorgen, dass es keine neuen Aufwirbelungen in der Zeit des Niedersinkens gab. Wie wichtig dieser aufwirbelungsfreie Raum für die „Salutogenese“ – die Gesundungsgeschichte –  ist, beschreibt der Traumaforscher Bessel van der Kolk in seinem Vortrag „The Body keeps the score“. Dort berichtet er von einem Forschungsprojekt bei dem traumatisierte Gefängnisinsassen 7 Tage lang Vipassana Meditation gelehrt bekamen und – wichtiger noch – praktizierten. 7 Tage lang Schweigen, Beobachten, Raum geben, in dem Partikel sinken können. Das für mich Erstaunlichste war, als er von den positiven Langzeitfolgen dieses begrenzten Zeitraumes berichtete, in der der Selbsttätigkeit in Gehirn und Geist der Versuchsteilnehmer bewusst Raum gegeben wurde.

Dieser stille Raum, der störungsfreie Raum ohne erneuten Partikelwirbel ist ein wichtiges Element, um unsere Seepferdchen in milderen Gewässern wieder zu Kräften kommen zu lassen.

Celans Zählen, Grenzen, Verorten ist allerdings darin noch nicht enthalten. Es beschreibt  für mich eher den Raum, den inneren Zustand, in dem Gesten des Ordnen und Entgegenzeichnens fruchtbar sein könnten. Im Sturm sind die Mandeln schlecht zu zählen, die bitteren und die süßen. Man kann höchsten von einem sicheren Ort aus im Frühjahr den Blütenblätterwirbel beobachten oder draußen den Kopf schützen, damit kein Ast oder umherfliegende Mandelschalen ihn verletzen. Erst nach dem Sturm kann man etwas zählen, betrachten, neu ordnen, vorsichtig aus dem Raum der Bittermandeln in einen anderen bewegen.

Zählen ist im Deutschen sprachlich mit dem Erzählen verbunden, dem Anordnen, Ablegen auf einer Erzählspur. Diesmal nicht auf einem Zahlenstrang, sondern einem Wortstrang, einem Wortgewebe, variantenreich. Das Erzählen in Variationen kommt mir wichtig vor. Traumatisches Sprechen kennt keine Varianten. Es bewegt sich in immer gleichen Kreisen ohne Veränderung des Blickwinkels, ohne Neuverortung. Es erscheint wie eine sich nie verändernde Bewegung in einem Raum, den man durch den immer gleichen Blick vom Eingang aus sieht, eine Bewegung, die beginnt, sobald man die Tür öffnet oder es auf irgendeine Weise Mitternacht schlägt und die Gespenster erscheinen.

Manchmal, wenn Menschen gefangen in diesem beinahe zwanghaften Wortkreisen von ihren Erschütterungen berichten, ahnt man, wie ihre Gespenster  immer gleiche neuronalen Bewegungen auslösen. Verorten heißt, dass bittere Mandeln von oben, von unten, von rechts und links, aus fernster Ferne und größter Nähe an ihren Orten im Gewebe unserer Lebenserzählungen betrachtet werden müssen. Es bedeutet, dass unsere Wortzeichnungen wie Kartographien in den milchigen Zonen unseres impliziten Gedächtnisses sind, Seekarten, die unseren Seepferdchen das Ordnen vager Erinnerungsfetzen erleichtern. Und dass jede neue Erzählung mit einem anderen Betrachtungswinkel die Schemen ein wenig mehr einwebt, sie ein wenig mehr von ihrem Zwang zu geistern erlöst.

Das Erzählen erscheint mir dabei als etwas, was sich in beide Richtungen bewegt. Es spricht aus uns heraus und in uns hinein. Und umgekehrt kann es auch das Lesen sein, bei dem Wortspuren direkt in unser Körperbewußtsein hineinwirken.

Bei vielen von Celans Texten habe ich den Eindruck, als würden sie direkt mit meinem Körper kommunizieren. Sie sprechen direkt in meine Gewebe, Adern und tieferen Regionen meines Gehirns hinein, wo Dinge schweben, sirren oder flattern, die noch nicht zu logischem Begreifen, Geschichte und präzise lokalisierbaren Erinnerungen geworden sind. Ich lese sie, wie ich den Feuchtigkeitsfilm auf meiner Haut lese, die Spannung im Nacken und das sich leicht verengende Blickfeld, wenn irgendetwas meinen Mandelkern berührt.

Die Worte sind dann nicht irgendetwas außerhalb meiner selbst, das ich als ein unbeteiligter Beobachter zu entschlüsseln versuche, sondern mein Körper antwortet direkt. Manchmal wird dann diese Sprache zu einer Struktur, mit der meine Gespenster einen Ort bekommen können. „Sprachgitter“ heißt einer von Celans Gedichtbänden. Gitter, Haltepunkte aus Worten im raumlosen Raum. Orientierungslinien die helfen, dass sich etwas niederlassen kann, seinen Platz, seine Begrenzung,  seine Zahl findet .Dabei bleibt vieles an seinen Gedichten für mich rätselhaft wie die Sprache der glatten Muskulatur meines Magens oder meiner auf Fremdes reagierenden Bronchien.  Die Worte stoßen eher etwas an, als sie etwas klar beantworten, formulieren Fragen, bringen Botenstoffe in Bewegung, weben neue Heimaten für ziellos Flatterndes, knüpfen vorsichtig neue Netze.

„Ecrire au marge“ – Schreiben am Rand. Diesen Begriff benutzt die Schriftstellerin Marguerite Duras für ein Schreiben, das sich am Rand des Sagbaren, an der unscharfen Grenze zwischen Bewußtem und Unbewußten bewegt. Auch wenn Celan diesen Begriff nicht genutzt hat, so scheinen viele seiner Gedichte genau aus dieser Zone heraus geschrieben worden zu sein. Der Begriff des Unbewußtem kommt mir dabei noch nicht einmal richtig vor. Denn von dem, wie sich die Impulse von Amygdala, Hippocampus und anderen Hirnregionen in uns abzeichnen, haben wir sehr wohl ein Bewußtsein. Es ist ein assoziativeres, indirekteres, körpernäheres Bewußtsein, mal näher an unserem reflexiven Alltagsbewußtsein, mal weiter weg.

Ich glaube, dass es diese Randzone ist, in der wir die Möglichkeit des Neuverwebens und Entgegenzeichnens haben. „Au marge“ ist der Raum, wo wir dem sich indirekt Mitteilenden lauschen können. Dort können wir in einer Weise zählen und erzählen, die unseren Gespenstern vorsichtig Wege zu Ruheorten bahnt.

Hier noch genauer, wie dieses Einweben & Kartographieren aussehen kann _> Beschreibung Narrationstherapie?

Manchmal nennt Marguerite Duras diesen Bereich auch „ au borde de la mer“ –  am Saum des Meeres. Das gefällt mir nicht nur, weil es den Bildern meiner Seepferdchenpflege nah ist. Sie zeichnet mit diesen Worten auch ein Bild des flüssigen, nicht genau zu lokalisierenden Charakters dieser Randregion, in der sich Prozesse zwischen reflektierendem und körpernahem Bewusstsein bewegen. Sie ist unscharf und verwandelt sich mit jeder Welle. Und es ist trotzdem, trotz dieser wenig exakten Grenzlinie, ein Ort, wo wir Bewegungen von hier nach dort machen können.

Mein Raum hier hat fünf Betten, viel zu viel für seine Abmessungen. Sie versuchen täglich aufs neue, die Gespenster in meinen Mandelkernen zu wecken.

Wie viele Menschen mit Wunden muss ich an meinem Meersaum nicht einmal, sondern immer wieder vorsichtig verwebende Bewegungen zwischen den Zonen machen. Ich versuche, Raum zu schaffen, damit das Aufgewirbelte sinken kann. Ich bemühe mich, meine Seepferdchen zu pflegen. Und wie viele Menschen entdecke ich an meiner „Marge“, in dieser unscharfen Randzone, immer wieder Neues: Bittere Mandeln. Süße Mandeln. Und Anderes.

Die Gespenster verändern sich, manche schrumpfen, manche verschwinden, manche verändern ihre Gestalt. Nicht in einer genau kalkulierbaren Weise, aus der ich eine exakte Formel entwickeln könnte. Aber so, dass es vorsichtiger Hoffnung Boden gibt.

Zähle die Mandeln

Zähle was bitter war und dich wach hielt

Das ist, so denke ich heute in diesem Raum mit fünf Betten, keine Anweisung von mathematischer Präzision. Vielmehr ist es ein Aufruf, sich dort um weiche Ordnungen zu bemühen, wo die Angst aus dem Diffusen kommt. Näherungszahlen für bittere Mandeln zu finden. Wirbelnde Partikel sinken zu lassen. Zu schlafen. Behutsam neue Bahnen für Bewegungen zwischen Mandelkernen und Seepferdchen zu öffnen. Zählend und erzählend  Netze in uns hinein zu zeichnen, durch die diese Betten sich verwandeln können.

Es sind fünf Betten für fünf Tage.

Ein Impuls für einen Text.

Ein unbequemer, aber gegrenzter Zeitraum.

Fünf Betten. Keine Gespenster.

Sondern eine endliche Zahl.