Denk nicht, dass Dich das schwächer macht

„DENK NICHT, DASS DICH DAS SCHWÄCHER MACHT!“

Warum Du mit Deinen Wunden jetzt wichtig bist

An Dich, der Du schon mit Wunden in diese Zeit hinein gegangen bist. An dich, deren Narben in diesen Tagen wieder leuchten. An Dich, der Du das Flimmern unserer Verwundbarkeit mit jeder Zelle kennst. An Dich, die Du die Gefühle von Hilflosigkeit an deinem erkrankten Körper erfahren hast. An dich, der du Gewalt und menschliches Versagen erleben musstest. An Dich, die Du die lähmende Wucht von Trauer und Verlust gefühlt hast. An dich, die du durch Unbehütetheit verwundet wurdest. An Dich, der Du dich den Herausforderungen des Älterwerdens stellst und dem wie es ist, etwas nicht mehr zu können. An Dich, die Du weißt wie es ist, wenn plötzlich nichts mehr ist, wie es vorher war.

An Dich, der Du vorverwundet bist:

Denk nicht, dass dich das schwächer macht!

Wir Vorverwundeten sind in diesen Tagen verletzte Helfer für die, die aus Wunden gewachsene Kräfte noch nicht freigelegt haben.

Wir wissen, wie man in den raumlosen Raum der Ungewissheit Wände pflanzt und in das Nichts eine Sicht auf das Meer. Wir wissen, dass selbst ein Bluterguss irgendwann durch das Wunder unseres Geistes Material sein kann für ein gestaltbares Bild. Wir wissen wie es ist, nicht nur mit Rissen zu leben, sondern sie manchmal sogar zum Leuchten zu bringen. Und auch wie wir damit leben, dass wir das manchmal können und oft auch nicht. Wir wissen wie es ist, wenn unser Gewissheitsraum vielleicht nur die nächsten 5 Minuten umfasst. Und wir wissen, wie wir ihn trotzdem mit all dem füllen:

Der Wärme von Sonne auf der Haut.

Dem Krähen von Hähnen.

Der hartnäckigen Schönheit von Blumen am Teerrand einer Strasse.

Den Menschen, mit denen wir verbunden sind.

Mit dem, was immer dich gerade umgibt.

Wir wissen wie man nicht nur überlebt, sondern überwächst.

Lasst uns in diesen Zeiten einer kollektiven Krise dieses Wissen aus unseren individuellen Wunden teilen! Lasst uns gemeinsam das erforschen, was die Psychologen Resilienz nennen und ich nicht. Ich habe noch kein Wort dafür. Aber wie du weiß ich auch, dass wir erfahren haben, wie mehr als Überstehen geht.

An dich, der du vielleicht schon mit Wunden in diese Zeit gegangen bist:

Denk nicht, dass dich das schwächer macht! Teile, was du über deinen Zugang zu etwas Unverbrüchlichem gemacht hast und über deine Fähigkeiten in der taumelnden Unschärfe etwas Neues entstehen zu lassen. Teile, was Du darüber weißt.

Was auch immer Deine Vorverwundungen in Dir an Kräften haben wachsen lassen: ich freue mich sehr, davon zu hören.

(c) Judith de Gavarelli, März 2020