Ermüdungserscheinungen
Reflexionen zur andauernden Corona Ausgangssperre
Anmerkung: Ich habe die Ausgangssperre auf der Kanareninsel La Palma verbracht, wo wir zwei Monate nicht die Wohnungen verlassen durften
Heute ist ein anderer Tag. Ein anderer Tag als heute vor vier Wochen. Ein anderer Tag, obwohl das Tischtuch heute auf dieselbe Weise gerissen ist, vielleicht nur ein wenig mehr, die Sonne frisst täglich an den Fasern. Das Licht ist hell, fast weiß, nicht anders als vor vier Wochen. Die innere Weiße dieser kollektiven Leerstelle hat jedoch ihr Leuchten verloren. Und das trotz der zaghaften Öffnung. Aber wo die Zäsur zum Alltag wird, verliert sie ihren Glanz. Sie verliert die leuchtende Schwärze des Abgrunds oder das überstrahlende Weiß des Möglichkeitsorts. Der lange Atem wird kürzer. Es ist der Alltag, der die Menschen müde macht. Es sind die mit der Öffnung bloßgelegten Wunden, die diese Zeit jetzt schon bei vielen geschlagen hat. Und wenn das Außeralltägliche Alltag wird, kommt die Erschöpfung. Dann frisst das veränderte Licht an den Geweben, macht sie mürbe, löst vor allem die Fasern, die Flexibilität und Spannkraft vermitteln. Dann, in diesen Momenten, fängt die eigentliche Aufgabe an. Sie fängt an, wo die Ermüdung erscheint. Sie fängt an, wo das Gestalten und Nutzen der Leerstelle in ein Aushalten mit Hoffnung auf eine unveränderte Rückkehr übergehen will. Sie fängt an, wo der Atem kurz wird. Der Atem. Der Atem den wir brauchen wenn das Leuchten des Außeralltäglichem dem Alltag weicht.
(c) Judith de Gavarelli 2020