Johanna, Kanäle
Johanna, Kanäle
Das Ringen um Öffnungen
Manchmal langweile sie sich, würde sie sagen, damit beginnt es, beginne es immer, es gefiele ihr nicht.
Es gefiele ihr nicht, sagt sie, es sei auch ein Nichtwissen, wie es ginge, gehen könnte, anders gehen könnte oder ob überhaupt. Sie würde dann sagen, ihr verschließe sich der Mund, wenn es gehen sollte, das sei nicht wahr, sagt sie dann, es gäbe nur nichts, was aus ihm herausströmen könne, aus ihrem Mund herausströmen könnte, an diesen Tagen, immer, dann, es ist die meiste Zeit, sagt sie und schaut zu Boden.
Es täte ihr leid, sagt sie, würde sie sagen, man weiß es nicht, niemals. Man weiß es nicht, glaubt man, auch wenn man es nicht weiß, man sieht am Rand eines Platzes einen Mann, er umarmt eine Frau, sie weist mit der Hand nach vorne. Sie sagt, so etwas verstehe sie nicht, verstünde sie niemals, sie wolle sie berühren, sie berührt sie, dazwischen ist eine Wand aus Glas, immer, jedes Mal.
Dann lacht sie, sie schlägt sich die Hand vor den Mund, beschämt. Man würde ihr vielleicht zusprechen wollen, aber man könnte es nicht, sagt sie, sagt man, man sieht die Tauben picken, sie sehe sie nicht. Das sei falsch, sagt sie dann, sie sähe sie schon, aber es hätte keine Bedeutung, sie könnte die Rechnung bezahlen und Dinge oder Kinder versorgen, man hielte sie nicht ab.
Und dann fragt sie einen, was man sähe, was man sieht, was Du siehst, wenn sich die Augen zu Poren öffnen, das fragt sie und man erschrickt. Sie schlägt die Hand vor den Mund und flüstert, vielleicht hätten die Jakarandablüten links Kanäle, es zwitschert, laut sagt sie, so was sage man nicht.
Sie richtet selten das Wort an einen. Das sei nicht wahr, sagt sie, sie sage, was zu tun sei, sie hat eine Stimme, sie ist laut. Sie schiebt einen Fuß vor den anderen, sie sagt, es ist gleich, es wäre gleich, sie kenne die Ecken, vorne gäbe es Milch, auch anderes, sie habe keine Zeit, ihre Stimme klingt müde und streng.
Man wollte sie dann etwas fragen, man fragt etwas und sie wiche aus. So etwas könnte man nicht fragen, sagt sie laut, vielleicht, flüstert sie, sie schlägt sich die Hand vor den Mund, sie flüstert etwas, man versteht sie nicht. Sie sagt, dort, der Mann auf der Bank ist ein Fremder und man nickt, sie sagt, die Füße seien kalt, daran gehörten neue Strümpfe und man nickt, man habe sich oft nichts zu sagen, sagt sie und man nickt. Sie würde neue Strümpfe besorgen und sähe ein weinendes Kind, sie sieht ein weinendes Kind, das habe keine Bedeutung, sagt sie, es sei nicht ihres.
Dann fragt sie, ob man sie verachte und man nickt, man hielte erschrocken inne und sagte, nein, natürlich nicht. Sie hat es gesehen, sie habe es gesehen, sagt sie, immer, jedes Mal.
Sie flüstert, sie wünsche sich Kanäle und wüsste nicht wie. Sie schlägt die Hand vor den Mund und sagt laut, man solle gehen, sie sagt, geh. Sie ginge, man ginge ein Stück mit ihr, sie weiß, wo der Bus abfährt, daran sei nichts Falsches, sagt sie und man nickt. Sie sei hilflos, sagt sie und man würde sagen, sie sei patent, man möchte sie nicht beschämen, man blickt zu Boden und weiß, beides stimmt.
Man fragt sie, was sie sich wünsche und sie würde erschrecken, sie erschrickt, sie schlägt sich die Hand vor den Mund und sagt dann laut etwas, man wird traurig bei den geliehenen Worten.
Man würde warten, man wartet, immerzu, in der Zwischenzeit, würde sie sagen, zähle man die Jakarandablüten und etwas im Schmutz, vielleicht auch bei den Tauben: Laut sagt sie, so was täte man nicht, es hätte keine Bedeutung, aber ihre Beine seien müde und schwer, das Meer stocke in ihnen, es stockt, es erstickt, denkt man, ihre Beine sind schwer, sagt sie, immerzu.
Und man wartet, man würde warten, dass etwas kommt, etwas von ihr kommt, dass sie kommt und etwas ginge, egal wohin. Man würde sagen, man dächte es gäbe Öffnungen wie Schleusen und sie sagt halblaut, es käme nicht, komme nicht, niemals, würde sie sagen und schaute zu Boden.
Nur manchmal, flüstert sie und schlägt sich die Hand vor den Mund, man sieht nach links, im Wasser sind Tauben, sie baden, sie badeten, würde sie sagen und dann flüstert sie leise, es tropfe, es tropft, manchmal aus ihr.
Laut sagt sie, so was hörten die Kinder, sie schaut nicht unfreundlich, aber streng.
Man hätte sich nichts zu sagen, der Mann an der Seite des Platzes trüge ein blaues Hemd und links fehlten Blüten, die Palme sei nicht gestutzt, würde sie sagen, sie würde zögern, sie zögerte, man warte, würde warten, erwartete das etwas käme, doch sie bewege sich nicht. Stattdessen würde sie mit einem Mal lachen, sie lachte dunkel und trotzig und man erschrickt, man würde sie nicht verstehen, man versteht sie doch, man versteht die Verachtung.
Und dann möchte man gehen, man wolle es lassen, sie lassen, verlassen, es schössen einem die Tränen in die Augen, man schluckt sie kurz vor ihrem Beginn. Es tropft, vielleicht bald, flüstert sie leise, sie schaut beschämt, sie schlägt sich die Hand vor den Mund doch bedeckt ihn nicht ganz.
Die Luft würde stehen, sie stünde, würde sie sagen, das kommt vor dem Regen, sagt sie und lacht. Vielleicht würden die Jakarandablüten dann leise tropfen, flüstert sie, hinter der Hand vor dem Mund, an der linken Seite glaubt man, sie lächle, sie lächelt, man weiß nicht ob höhnisch oder warm.
Das sei etwas anderes, würde sie sagen und dass die Kinder sie riefen, sie rufen, sie rufe die Kinder, würde sie sagen, sie riefen sie, immerzu. Sie hätte keine, nicht solche, sagte sie leise, vielleicht andere, flüstert sie und erschrickt. Manches ließe sich nicht lösen, sagt sie dann laut, sie schaut nicht unfreundlich, aber patent, man würde an ihrem Mund vorbei ihre Augen sehen, sie rufen, sagt sie, man denkt, es tropft. Man würde vielleicht sagen, man sagte, man hoffte, ihre Augen, sie würden tropfen, sie schlüge sich die Hand vor den Mund und man dächte, sie fielen, sie fallen gleich, die Tropfen, auch auf die Jakarandablüten, immerzu. Und dann würde sie leise fragen: Bin ich in Not? Und man möchte bejahen, man sieht die Venen an ihren Beinen, sie sind blau, das Hemd des Mannes links auf dem Platz wäre fort und stattdessen sähe man Schritte, sie wiese nach vorne, sie weißt nach vorne, sie sagt: Er geht. So was verstehe sie nicht, verstünde sie niemals, das sei nicht wahr, sagt sie dann, es hätte nur keine Bedeutung, vielleicht, flüstert sie und schwankt.
Und dann beginnt es zu tropfen, es tropft, sagt sie, der Regen ist fremd und links der Mann auf dem Platz war ein Fremder, sie fielen, die Tropfen, würde sie sagen, auch auf die Jakarandablüten, vielleicht, flüstert sie, durch sie hindurch. Und dann bewege sie leicht die Beine nach außen, sie sind weiß und man denkt, man rieche ihr Geschlecht, man riecht etwas, man könne sich irren, sie bewege die Beine und schaue erschreckt.
Das hätte keine Bedeutung, sagt sie müde und laut, sie flüstert, dass sagen wir für die Kinder, sie schlüge sich die Hand vor den Mund doch man sieht, sie lacht. Sie sagt, sie kenne die Mütter, sie schaut müde, schuldig und streng, sie würde dann sagen, sie wüsste, was zu tun sei, sie wisse es, immerzu. Daran sei schließlich nichts Falsches, würde sie sagen, man glaubt sie sage es, das Wort wird von den Tropfen verschluckt.
Und dann würde sie den Kopf neigen, sie neigt den Kopf, nicht nach unten, sie neigt ihn zu einem hin, zu Dir hin, an diesem Tag, diesen Stunden, wo es regnet, zu regnen, zu tropfen beginnt, wo es beginnt, anders als sonst. Sie neigt den Kopf und sagt: „Da vorne, Kakteen.“ Und weißt auf eine Lücke im Geländer, rechts säße ein weinendes Kind. Rechts sitzt ein weinendes Kind, sie fragt: „Was ist das?“, sie fragt, was es sei, was es wäre, sie würden weinen, immerzu. Sie weinten, auch die Frauen mit den beweglichen Brüsten, sagt sie, würde sie sagen, sie würde fragen: „Haben sie eine Haut?“ Und dann nickt man, man legt die Hand an die Wange, sie legt die Hand an die Wange und zuckt. Die Finger, sie wären feucht, sagte sie, sie legte die Hand an die Haut unter den Augen, es ist feucht an den Kanälen. Und dann fragt sie, leise in das Tropfen der Jakarandablüten: „Weint man so?“ Sie stieße die Luft aus dem Mund, man hört einen Laut, man denkt, rechts weint ein Kind, man hörte ein Würgen, sie würde fragen: „Weine ich so?“
Und man nickt, man hört einen Laut aus dem Mund, man nickt, würde nicken, man nickt immerzu, man nickt, während es in den Blüten zu fließen beginne, dort und im Schmutz wo man einen Laut zu hören beginnt aus einem Mund, dem eigenen. Man hört einen Laut, er ist klein, man würde sich fragen, Du fragst Dich: „Bin ich in Not?“ und man hört das Nicken der Tropfen, man hörst es, Du hörst es, dort, auch im Schmutz.
Und dann würde man die Wange berühren, man berührt sie, Du berührst sie, berührst eine Feuchte an den Kanälen, Du fragst sie: „Was ist das?“ und sie sagt: Du weinst.
Sie sagt es leise, wie ein Schlag, wie ein Brüllen, sie schlägt sich die Hand vom Mund, „es stürzt“, sagt sie, aus Dir und aus mir. Sie legt Deine Hand an ihren Mund, an ihn und in ihn hinein. Sie legt sie hinein in die Feuchte vor den geliehenen Worten, hinein in den Ort ihrer Zunge, hinein wo es nass ist, in ihr und in Dir. Sie bewegt sie, bewegt sich, bewegt sie um dich herum, sie sagt „Fühlst Du, die Kinder?“ und Du nickst, „Sie sind keine Fremden“ sagt sie und Du nickst, das hätte eine Bedeutung, sagt sie und Du nickst, Du nickst und Du stürzt hinein in die Jakarandablüten und etwas im Schmutz, Du stürzt hinein ist das Tropfen vor ihren geliehenen Worten, mit Deiner Hand, Deiner Zunge hinaus und hinein, bis etwas kommt, bis sie kommt, bis etwas käme und etwas ginge, bis etwas zu kommen beginne, etwas, mit Dir. Du weinst.
(c) Judith de Gavarelli 2009