M, Verschluckungen
M, Verschluckungen
Abtastung eines Täterintrojekts
Ich habe Dich verschluckt.
Ich habe Dich verschluckt, eine Stimme, kein Volumen, kein Fleisch.
Ich habe Dich verschluckt, eine Stimme, eine blinde Stimme.
Ich weiß nicht, ob es Sinn macht, nach Gründen zu fragen, ich frage eher nach Gesten, den Gesten von Dir in mir, auch der des Verschluckens.
Die Frage nach den Gesten ist eine nach der Form, Deiner, von Dir in mir.
Während ich schreibe, während ich Dich in mir zu schreiben versuche, kann ich nichts hören, da redet jemand, da redet jemand hinein und ich versuche verzweifelt zu lauschen mit meinen blinden, durch Deine Stimme erblindeten Ohren.
Du bist laut. Ich habe Dich verschluckt, damit es still ist, damit Du still bist, ein stiller Raum um mich. Und damit Du fort bist, weit fort.
Das kann ich nicht verstehen, in Wahrheit kann ich nichts verstehen während Du da bist und jedes Wort ist eine ungeheure Anstrengung, schnell, so als wäre es die letzte Gelegenheit, durchgeschossen, hinausgehuscht durch die Risse im Lärm.
Ich habe Dich verschluckt, damit Du fort bist und es ist auf eine seltsame Weise gelungen: Indem ich Dich verschluckte, schien es, als wäre alles ich, als gäbe es Dich nicht, Dich nicht und meine offene Haut.
Du bist verschwunden in mir und es geworden, es, M., eine Stimme, eine blinde Stimme. Eine blinde Stimme, eine Hülle aus Lärm, so laut, dass ich Dich nicht höre und so mit mir verbunden, als gäbe es Dich nicht. Und auch heute noch, wenn ich Dich sehe, bin ich erstaunt.
Denn in mir denkt es noch immer, ich hätte keine Mutter.
Ich habe Dich verschluckt, und dadurch wurde alles Ich, eine Form, keine schöne, aber immerhin eine Form mit einer Hülle, einer Haut, wo sonst nur offene, wunde, von Dir wundberührte Flächen gewesen wären, Flächen, ausgesetzt an Dich.
Ich erkenne Dich nicht. Ich habe Dich erst einmal gesehen, meine schreiend laute, hasslaute, verzweifelt laute, vor allem aber angstlaute Mutter.
Angst ist Lärm. Das ist ein Text mit einem nur halbgeöffneten Mund, ein stotternder, während die Dinge um mich herum ihre Form verlieren, unverbunden, ich höre die Welt nicht mehr und lasse als letzten Versuch meine Hände in Deinen Körper klopfen „Bitte. Bitte schick mich nicht fort.“ Und „Bitte, mach mich nicht mir fremd.“ Du siehst, dass ich nichts mehr begreife. Wo Du bist, ist kein Ort, von dem aus ich mich verstehen kann.
„Ich habe Dich verschluckt.“ – das ist das Mantra eines versuchten Verständnisses, von mir, nicht von Dir. Ich habe Dich verschluckt, damit etwas Fremdes Ich werden konnte. Ich habe mich geirrt: Du wurdest nicht Ich, Du wurdest das Fremde in mir, M. eine Andere.
Du konntest nicht Du sein und ich nicht Ich. Bin ich auch laut in Dir? Wolltest Du mich zum Verschwinden bringen, mich, das andere, fremde, Dir fremde Kind? Verzweifelt geliebt als das Bild einer Tochter, ein Lichtkind, ein Bild, Deines, von mir, hinter dem das fremde, das anders sprechende Ich verschwinden sollte. Du wolltest mich nicht, das klingt wie eine Klage. In Wirklichkeit denke ich: es war für Dich ein Fluch.
Jetzt muss ich Dich wollen, oder vielmehr: M., das andere, das Fremde in mir, mein lautes Ausland, fremd und ich.
Auf jeden Fall wurdest Du, indem ich Dich verschluckte, eine Hülle, eine Haut. Alles wurde richtig oder vielmehr: Nur ich. Nicht Du, ich war, so dachte ich danach, niemandem anvertraut, sondern alles, was Du tatst, war eine Auswirkung von Ich, eine mir unverständliche, aber ich. Du bist verschwunden, Dich gab es nicht mehr oder wenn nur noch als Gemurmel hinter etwas, weit, undeutlich, murmelnd, am Rande eines Orts.
Wie liebt man das laute Ausland? Oder erst einmal: Wie nähert man sich ihm? Du machst mich ratlos, Du hast mich immer ratlos gemacht. Damals. Und jetzt als das Fremde in mir, das verzweifelt rufende Fremde: „Bitte höre mich doch!“
Wie hört man das Ausland? Und mehr noch: von wo? Ich finde keinen Ort, von dem ich aus hören kann. Ich lebe im Ausland, seit es Dich, seit es Sprache gibt, ich bin in M., einer Hülle aus Lärm, Deiner von mir verschluckten, blinden, mich blindmachenden Stimme. Ich bin dort, als ob ich ewig vereist wäre ohne dass es einen Reiseort gibt, ich bin von jedem Ort aus verreist und blind für alle Orte und Sprachen außerhalb von Dir.
Im Ausland trage ich auch andere Gesichter, Stimmengesichter, ich sehe so aus, wie Du mich sprichst. Ich höre Dich nicht und erkenne mich nicht. Ich bin im Ausland und dort mir fremd.
Ich möchte fast sagen: Es gibt mich dort nicht. Es gibt mich dort nicht oder wenn nur als schattigen Keim, sicher bis zur Unkenntlichkeit unter den Hüllen.
Es ist laut dort und ich verstehe Dich nicht, ich möchte sagen M., sprich leiser, damit ich Dich hören kann, schenk mir einen Riss, durch den ich mich aus Dir herausbewege, ich möchte Dich sehen, sprechen hören von einem Ort außerhalb von Dir, ich möchte Dich hören und Dir auch zusprechen, vielleicht sogar zart.
Du bist ein Mantel, eine Hülle aus Lärm, ein Rettungsort, ein Raum mit Wänden aus einer verschluckten Stimme, hinter denen die Andere, die Fremde, die Mutter verschwand. In Dir haben die Keimschatten überlebt, sicher bis zur Unkenntlichkeit, siehst Du sie nicht?
Ich möchte Dich sehen, Dich hören, ich möchte meine Wange vielleicht sogar an Deine lehnen, es geht nicht, Du bist mir zu nah.
Du weinst vielleicht, entschuldige, ich kann Dich nicht hören, Deine Stimme ist dumpf und dröhnt von jedem Ort. Lass mich Dich abstreifen oder wie eine Flüssigkeit, ein Ausatmen aus schattiger Luft durch Deine Wände sickern, egal wie wenig, wie ich bin, ich halte mich schon. Und mehr noch: Ich verlasse Dich nicht.
Ich möchte, dass es Bewegungen gibt zwischen Dir und mir, fremde, andere, von Fremde zu Fremde, andere, von Ort zu Ort. In einer Hülle kann man nur kreisen, egal wo man sich befindet, blind auf Augen und Ohren, ich wünsche mir das nicht.
Hast Du schon einmal gehört, wie ein Keim in seiner Hülle erstickt?
Entschuldige, wenn ich Dir Unrecht tue. Ich kann Dich nicht sehen, nicht hören. Und wenn ich in Dir bin ist das Schreiben kein gehendes Lauschen auf die Sprache Deiner Linien, Höhlungen, Erhebungen und Täler, sondern nur eine verzweifelte Exkursion. Es ist ein Suchen nach einem Fluchtloch, das ist so, ich gebe es zu.
Ich wünsche mir das nicht.
Ich möchte Dich abtasten, eine fremde, sprechende, Unbekanntes sprechende Haut. Ich möchte Dich hören, sehen und neben Dir, nah von Dir, fern von Dir meine Formen gewinnen, die Du auch sehen darfst wie ein anderes, fremdes, Form gewordenes Wort.
Möchte ich Dir nah sein? Ich weiß es nicht, aber eines möchte ich nicht sein: Mir fremd. Ich möchte mich entfernen können und nähern, an mich, vielleicht auch an Dich, mein anderes, hilflos zu helfen versuchendes Ich, an Dich, mein Ausland, an Dich, eine verschluckte, in Hilflosigkeit weitersprechende Stimme.
An Dich, M. eine Stimme, sprachlos und blind.