Trost, Orte zu bleiben

Mnemosyne 5: Trost  (Orte zu bleiben)

Man hatte uns allen das Beste gewünscht für diese Zwischentage,

das Gute wünschte man uns ebenso, auch das Hinwegkommen.

Den Ort wohin dafür nannte man nicht.

So habe ich mich also auf den Boden gelegt zu den Vorworten aus Wasser –

lachsfarbene Schriften, die einen Satz noch nicht ernähren können.

Ich schwimme dort mit den Zahlen und Zeichen,

die die Bewegung der Räume errechnen werden,

für den Drucker kaufe ich mir drei neue Farbpatronen aus Mnemosyne:

Weiß für die mundlosen Zeichen, rosa für den Vortag

und das Rot, was ich noch unter den Gläsern verstecke.

Ich habe mich auf die Spiegelfläche gelegt mit den Schneeaugen,

die beim Trinken ganz rosa geworden sind wie der Tag, bevor etwas geschah.

Dort bin ich in der Quellhaut der Lider geschwommen und habe Salzfrüchte gegessen,

die mit den Zahlen auf den Meergrund sinken, salzige Früchte aus milchwarmer Trauer,

die meinen Körper einmal ernähren werden.

Ich habe mir eine neue Tastatur gekauft,

unter der das Erinnern fließt in den drei Farben Mnemosyne,

die ich trinke am Abend und am Morgen, am Mittag

und zu den Nachtgerichten auch, zusammen mit den Milchhaaren

der Mädchen, die ich vergaß.

Die Mädchen schlafen ab heute in meiner Schulter

und wachsen wie Fliedergeflecht den Rücken hoch,

wenn ich in der Teichhaut liege im hautwarmen Wasser,

so fühlt sich eine Spiegelmembran an zwischen den oberen und den unteren Reichen.

Ich lade die Glasmädchen ein, die keinen Körper hatten, auf der Bauchdecke zu schlafen, wo das Wasser flach ist und warm und genug für das Tasten der Wellen kleiner Zeichen.

Wenn eine nur noch die Augen bewegen kann, versteht man dort diese Sätze,

meine Tastatur reagiert auf Wimpernschläge

und ich schreibe mit den lachsfarbenen Zeichen

Schwarz wie Melancholia oder Blauweiss wie Angst,

wenn sie es wünschen, die Mädchen aus dem mundlosen Danach.

Wir essen otterfarbene Rosinenherzen

und ich werfe zurück die Blicke von den Blaublinden und Narziss:

meine Mädchen atmen ihre eigenen Blicke in der rosigen Spiegelhaut.

In den Vororten, die wir an den Händen des weichen Erinnerns

noch einmal betreten,

heißt es für uns an diesen Tagen:

Wir sind frei.

Ich habe mich in die Glashaut, die Spiegelhaut, die Teichhaut gelegt

und neue Zahlen für die Mathematik von Berührungen gefunden.

Ich habe die Salzfrüchte auf den Meergrund gelegt und die Muster gewogen,

die Glasmädchen habe ich schlafen lassen und wachen

und weinen und fürchten und verschwinden und sich dehnen

und wandeln auch in diesen Zwischentagen,

wo man uns das Beste wünschte und das Gute ebenso,

auch das Hinwegkommen wünschte man uns

und nannte den Ort wohin dafür nicht:

Den Ort zu bleiben gab es dort auch.

(c) Judith de Gavarelli 2002