
Der Segen von neurophysiologischer Forschung
Es war eine kaum mitteilbare Erleichterung zu verstehen, dass lange leidvoll erlebte Empfindungen keine wesenhafte Unormalität sind, sondern normale Reaktionen auf unnormal belastende Situationen. Die neurophysiologische Traumaforschung hat meine gesamte Perspektive auf mein Leben so wohltuend erweitert, dass ich andere gerne daran teilhaben lassen möchte. Andere große Entwicklungsgeschenke in meinem Leben sind die Kunst und die Philosophie. Zusammen ermöglichen sie immer mehr, dass neben den neuronalen Autobahnen des Traumas Landstraßen und Trampelpfade in freies Gelände ausgebaut werden.
Die Verwebung unterschiedlicher Perspektiven
Es hat mir lange Zeit Kummer bereitet, dass es in Deutschland weniger üblich ist, verschiedenen Disziplinen zu verweben als im englischsprachigen Raum. Was für eine Inspiration, irgendwann die Essays von Siri Hustvedt in ihrem Buch ” Leben, Denken, Schauen, ” zu entdecken! In ihnen habe ich mich wiedergefunden in meiner Art, neue Netze in meinem Nervensystem zu weben. Dieses Neuweben macht etwas möglich, dass bei aller Zerstörung auch eine Wahrheit ist: dass unsere tiefsten Risse etwas weiter und reicher machen können. Ich hoffe, ich kann die Leser in den Raum von Lust und Poesie mitnehmen, den diese Forschung für mich öffnet.
Von Mandeln und Seepferdchen
Von Mandeln und Seepferdchen –
ein Tauchgang zu zwei Instanzen der Trauma-Neurophysiologie
Textauszug: […] Herrscht dort, in dem Gespräch zwischen Mandelkern, Seepferdchen und den Zonen bewußten Erinnerns, eine solche Verzerrung, verlieren wir die Fähigkeit, dem Erlebten einen Platz in Raum und Zeit zu geben. So entgleitet uns manchmal das Gefühl für Verortung, Zahl und Endlichkeit, wenn unser Mandelkern besonders erregt ist. In diesem Erlebensmodus wird ein Ereignis keine Geschichte. Stattdessen geistern in uns unscharfe Gestalten. Bedrohliche Geister, wie sie zum Beispiel aus den Betten in diesem Raum aufsteigen könnten. Schemen, auf die der Mandelkern mit dem Ruf „Gefahr!“ reagiert. Untote, auf die unser Körper antwortet, bevor irgendetwas in uns erkennen kann „Ah, Du! Du dort, den ich aus dieser oder jener Situation kenne!“. […]

Male
Numbing und der Schatten der Dumpfheit
Meine beiden Eltern sind mitten in den Krieg hineingeboren und haben doch so unterschiedlich reagiert. Dieser Text ist ein Versuch mich einer Variante – der lebenslangen Betäubung – zu nähern. Textauszug […]Er weiß nicht, wie er in ihre Abwesenheit hinein sprechen soll, ihre Abwesenheit und die Anwesenheit von etwas Unbenanntem, er wischt das Wort weg, das ist Frauengeschwätz. Sein Mund fühlt sich gefüllt an mit Wortlosigkeit, würden Frauen vielleicht sagen, er sagt nichts. Seine Zunge tatstet die Füllung im Mund ab, ein Klumpen, er ist substanzlos, aber zäh. Das ist nicht zu begreifen. Er möchte ihn ausspucken, aber er weiß nicht wie. Er öffnet den Mund und wischt mit der Hand davor, eine abwinkende Geste wie die Jungweizenfelder rechts den Wind abwinken, er winkt ab, aber es verschwindet nichts.[…]

Male
Numbing und der Schatten der Dumpfheit
Meine beiden Eltern sind mitten in den Krieg hineingeboren und haben doch so unterschiedlich reagiert. Dieser Text ist ein Versuch mich einer Variante – der lebenslangen Betäubung – zu nähern. Textauszug […]Er weiß nicht, wie er in ihre Abwesenheit hinein sprechen soll, ihre Abwesenheit und die Anwesenheit von etwas Unbenanntem, er wischt das Wort weg, das ist Frauengeschwätz. Sein Mund fühlt sich gefüllt an mit Wortlosigkeit, würden Frauen vielleicht sagen, er sagt nichts. Seine Zunge tatstet die Füllung im Mund ab, ein Klumpen, er ist substanzlos, aber zäh. Das ist nicht zu begreifen. Er möchte ihn ausspucken, aber er weiß nicht wie. Er öffnet den Mund und wischt mit der Hand davor, eine abwinkende Geste wie die Jungweizenfelder rechts den Wind abwinken, er winkt ab, aber es verschwindet nichts.[…]
Morgen (Vorsicht! Starke Triggergefahr)
Morgen –
Schuldumkehr und Wirklichkeitsverdrehung während der Tat
Dieser Text enthält so explizite Schilderungen physischer und sexueller Gewalt, dass ich an dieser Stelle auf einen Textauszug verzichtet habe. Er hat mir 2007 sehr geholfen die Dynamik von “blame the victim” Strategien von Tätern während Traumatisierungen zu verstehen. Diese Umdeutungen des tatsächlichen Geschehens machen es extrem schwer, eine Tat überhaupt erstmal als solche zu begreifen. Auch die Vermischung von alltäglicher Kommunikation und scheinbar aus dem Nichts kommender, bezugloser Gewalt verstärkt die weißen inneren Blasen der Unbegreiflichkeit, die für viele Opfer so schwer zu durchdringen sind.

Die Königin – der Weisspalast der Dissoziation
Textauszug: […] Mein Vater, der die Augen meines Vaters trägt und seine Hände, seinen Mund, mein Vater ist mein geheimer Junge.
Meine Mutter nennt ihn, wie sie auch seine Familie nennt. Meine Mutter nennt ihn: “Schuld” mit allen Sätzen. Mir, die ich seine Stimme, seine Augen, seine Stirn habe, gibt sie mit vielen Worten denselben Namen, den ich nicht tragen will, auch wenn er zuzeiten nach Macht riecht. Darum nenne ich Ihn, meinen Vaterjungen, mit ungesprochen Worten “Unschuld” und er dankt es mir, indem er in das Haus meiner Mutter mit seinen Vaterhänden ein zweites, ein nebelweißes baut. In dem wohnen zusammen nur: ER und ich. […]

Die Königin – der Weisspalast der Dissoziation
Textauszug: […] Mein Vater, der die Augen meines Vaters trägt und seine Hände, seinen Mund, mein Vater ist mein geheimer Junge.
Meine Mutter nennt ihn, wie sie auch seine Familie nennt. Meine Mutter nennt ihn: “Schuld” mit allen Sätzen. Mir, die ich seine Stimme, seine Augen, seine Stirn habe, gibt sie mit vielen Worten denselben Namen, den ich nicht tragen will, auch wenn er zuzeiten nach Macht riecht. Darum nenne ich Ihn, meinen Vaterjungen, mit ungesprochen Worten “Unschuld” und er dankt es mir, indem er in das Haus meiner Mutter mit seinen Vaterhänden ein zweites, ein nebelweißes baut. In dem wohnen zusammen nur: ER und ich. […]
Ratten – Trauma und Weltverlust
Momentaufnahme bei der Suche nach Weltwiedergewinnung
Eine der schrecklichsten Folgen von Trauma ist, dass ein Stück Welt abhanden kommt. Genesung ist deshalb vor allem das Wiedererlangen der Fähigkeit, die Welt wirklich anwesend in all ihrer Intensität zu erfahren. Diesen Weltzugang habe ich 2008, als er als Folge einer Retraumatisierung in der Therapie nur selten möglich war, mit der Metapher “Tor” bezeichnen können.
Textauszug […] Ich bin gerne da. Ich sehe dann die Kreise, die nackte Körper im beleuchteten türkisfarbenen Wasser zeichnen, ich sehe sie sonst auch, aber anwesend machen sie einen Sinn, welchen ist schwer zu erklären. Am ehesten machen sie vielleicht einen Bewegungssinn, einen huschenden, pulsierenden Sinn, den auch eine schlagende Ader macht. Ich bin gerne da und leide unter meiner Abwesenheit, die eigentlich geschaffen ist, einem Leid zu entkommen. […]

Allerleirau – die Zielgerichtetheiten
Eine Erzählung über das In-eins-Fallen von Fürsorge und Gewalt
Diese Erzählung taucht tief in eine Beziehungsdynamik ein, bei der Genährtwerden und Destruktion fließend ineinander übergehen. Textauszug:[…] Ich saugte diese Sicherheit und bemerkte erst spät, dass wir uns nur verbrauchte Luft in die Lungen bliesen. In der weichen Benommenheit brauchte es ewig, bis mein Gehirn den Gedanken formen konnte, dass auch das Ersticken war, auch das. Und als ich es wusste, gab es dann keinen Willen mehr, der sich gegen den Wunsch hätte auflehnen können, mit Johanna in eine allumfassende Ohnmacht zu gleiten, hin zu dem Ort, wo sie mir das Wissen der Fische erzählen würde. […]

Allerleirau – die Zielgerichtetheiten
Eine Erzählung über das In-eins-Fallen von Fürsorge und Gewalt
Diese Erzählung taucht tief in eine Beziehungsdynamik ein, bei der Genährtwerden und Destruktion fließend ineinander übergehen. Textauszug:[…] Ich saugte diese Sicherheit und bemerkte erst spät, dass wir uns nur verbrauchte Luft in die Lungen bliesen. In der weichen Benommenheit brauchte es ewig, bis mein Gehirn den Gedanken formen konnte, dass auch das Ersticken war, auch das. Und als ich es wusste, gab es dann keinen Willen mehr, der sich gegen den Wunsch hätte auflehnen können, mit Johanna in eine allumfassende Ohnmacht zu gleiten, hin zu dem Ort, wo sie mir das Wissen der Fische erzählen würde. […]
Türkis, zumindest – Szenen einer Triggerfacette
Türkis, zumindest
Szenen einer Triggerfacette
Dieser Text war eines der spannendsten Sprachexperimente für mich. So schrecklich es ist, ist es auch ein faszinierendes Erlebnis von etwas, das sih wie “Nicht-Ich” anfühlt, aber gleichzeitig von “Ich” wahrgenommen wird.Mit der Sprache in einen Triggerzustand zu schlüpfen ist so, als würde man in einen viel älteren Teil seines Gehirns schlüpfen, abwärts, ins Kleinhirn und prozedurale Gedächtnis vielleicht, in die ganz archaischen Strukturen, die normalerweise weit außerhalb von Sprache liegen. Als ich den Text einem Freund vorlas sagte er mir, für ihn wäre das wie ein direkter Zugang zu den Empfindungswelten seiner autistischen Tochter. Vielleicht, so hoffe ich, ermöglicht es dem ein oder anderen Zugänge zu etwas, das sich normalerweise jedem Zugang entzieht. Und trotzdem aus dem Riss der Verletzung aufsteigen kann, immer wieder.

Fick mich (Achtung, Trigger!)
Toxische Beziehungswiederholungen
Textauszug: […] Er bläst die Lippen auf, rechts mehr als links, eine Parese, na und. Fick mich. Ein Fick mich Gesicht, das hat er ihr gesagt, in ihr Gesicht, da war doch nichts, nur eine Fläche, gar nicht mal hässlich, in die er es reingesagt hat „Du hast ein Fick mich Gesicht.“ Es war leicht. Sie hat ihn angesehen, er hat es gedacht und gesagt. Er hat gewusst, dass sie einknickt, natürlich, sie ist schon gebrochen, angebrochen. Er mag den Ton, wenn sie weiter reißen, ein zarter, schwebender Laut. […]

Fick mich (Achtung, Trigger!)
Toxische Beziehungswiederholungen
Textauszug: […] Er bläst die Lippen auf, rechts mehr als links, eine Parese, na und. Fick mich. Ein Fick mich Gesicht, das hat er ihr gesagt, in ihr Gesicht, da war doch nichts, nur eine Fläche, gar nicht mal hässlich, in die er es reingesagt hat „Du hast ein Fick mich Gesicht.“ Es war leicht. Sie hat ihn angesehen, er hat es gedacht und gesagt. Er hat gewusst, dass sie einknickt, natürlich, sie ist schon gebrochen, angebrochen. Er mag den Ton, wenn sie weiter reißen, ein zarter, schwebender Laut. […]
Er berührt sie
Versuch über das Vergessen
Das ist ein alter Text von 1999 bei dem ich noch deutlich weniger über die Neurophysiologie von posttraumatischen Amnesien wußte, aber mich der Wirklichkeitsverdrehung bei der Verarbeitung übergriffiger Berührungen angenähert habe. Ein Jahr vorher hatte ich einen Gewaltübergriff in einer Psychotherapie erlebt, für dessen traumatischen Kern ich auch eine Zeit lang amnestisch war.
Textauszug […] Er berührt sie und weil diese Berührung ohne ein Wollen ihrerseits geschieht berührt er sie nicht: er fasst sie an. […]

Caput mortuum
Über Vergangenes und Totes, das in unserem Nervensystem geisternd auf Erlösung wartet
Textauszug: […]Über den Boden kriechen die Toten. Natürlich tun sie das nicht. Ihre schleichende Bewegung ist kaum zu sehen. Sie möchten schlafen, endlich. Natürlich ist da nichts. Ich bin der Kunst dankbar, dass ich von Geistern schreiben kann, die es gibt und nicht gibt, da, hier, zur gleichen Zeit. In der Kunst bin ich dankbar für dieses Rätsel. […]

Caput mortuum
Über Vergangenes und Totes, das in unserem Nervensystem geisternd auf Erlösung wartet
Textauszug: […]Über den Boden kriechen die Toten. Natürlich tun sie das nicht. Ihre schleichende Bewegung ist kaum zu sehen. Sie möchten schlafen, endlich. Natürlich ist da nichts. Ich bin der Kunst dankbar, dass ich von Geistern schreiben kann, die es gibt und nicht gibt, da, hier, zur gleichen Zeit. In der Kunst bin ich dankbar für dieses Rätsel. […]